#metoo und die Debatte um Dr. Dieter Wedel polarisieren in vielerlei Hinsicht

#metoo und die Debatte um Dr. Dieter Wedel  polarisieren in vielerlei  Hinsicht

Ist es ein Erfolg, der zur Freude Anlass gibt, wenn ähnlich wie in den USA lange Zeit zurückliegender Machtmissbrauch, einhergehend  mit sexuellen Übergriffen im Showgeschäft, nun auch bei uns angeprangert wird? Dies, indem öffentliche Vorwürfe gegen eine einzelne Person erhoben werden und damit  die #metoo- Debatte ihren Weg hierher gefunden hat?

In diesem Zusammenhang stellen sich viele Fragen, die es nahelegen, auch mit dieser Thematik besonnen umzugehen.  Was ist davon zu halten, wenn prominente Persönlichkeiten wie Simon Verhoeven Forderungen erheben,  u.a. Filme von Herrn Dr. Wedel nicht mehr zu zeigen? Was, wenn sich Verantwortliche bei Film- und Rundfunkanstalten dieser Auffassung anschließen?

Es ist wichtig, hier klarzustellen, dass die Anschuldigungen gegen Herrn Dr. Wedel nicht verniedlicht werden sollen. Sollte er die ihm zur Last gelegten Straftaten begangen haben, handelt es sich keinesfalls um Kavaliersdelikte.

Die in Rede stehenden  Vorfälle in den USA und hier liegen in der Mehrzahl viele Jahre zurück. Auch im Fall Wedel sind die meisten der ihm angelasteten möglichen Taten verjährt.

In dem vielfach positiven Echo auf die öffentlichen Beschuldigungen einer einzelnen Person werden diese damit gerechtfertigt,  eine solche Vorgehensweise  sei erforderlich, um alte Muster und Strukturen von Macht bzw. Machtmissbrauch, insbesondere in Form sexueller Übergriffe gegen Frauen, aufzuzeigen und damit eine neue Ära im hierarchischen System des Schauspielgenres  und  gleichzeitig gerade auch in dem Verhältnis zwischen Männern und Frauen einzuleiten.

Doch es geht um viel mehr.

Die angestoßene Diskussion betrifft mehr als „nur“ den Umgang  von Männern mit/und Frauen in einem besonderen Genre, mehr als nur das Fehlverhalten einzelner Personen.

Sollten wir die aktuelle Ausrichtung  der Diskussion  gutheißen und kultivieren, berührt sie unsere Rechtsstaatlichkeit, die wir wertschätzen und die uns von „Bananenrepubliken“ unterscheidet.

Zu nennen ist das Recht der Unschuldsvermutung  bis zur rechtskräftigen Verurteilung sowie das eines jeden auf seinen gesetzlichen Richter.

Berührt werden aber auch die Grundrechte auf Kunst- und Berufsfreiheit und das auf freie Information.

Daneben geht es um die (eigen)verantwortliche Wahrnehmung dieser und der eigenen Rechte  durch die betroffenen Frauen und die Medien.

 

Das können wir nicht wirklich wollen oder wehret den Anfängen!

Hat sich Dr. Wedel strafbar gemacht oder nicht? Wir alle wissen es nicht. Dies herauszufinden wäre Aufgabe eines Strafverfahrens (gewesen). Allein die betroffenen Frauen und er wissen, was tatsächlich vorgefallen ist. Auch wenn diese noch so glaubwürdig sein mögen, rechtfertigt es nicht, Dr. Wedel  wie einen verurteilten Straftäter zu behandeln. Es wundert mich sehr, dass eine renommierte Wochenzeitung sich in diesem Zusammenhang  auf ein Niveau begibt, das ich eher in der  Boulevardpresse  erwartet hätte.

Forderungen, die aufrufen, mit Dr. Wedel nicht mehr zusammenzuarbeiten oder seine Filme nicht mehr zu zeigen, mögen zunächst gut gemeint sein, schießen aber deutlich über das Ziel hinaus, gießen Öl ins Feuer und spielen damit ein – für uns alle gefährliches – Spiel. Hier etabliert sich durch das einseitige Aufgreifen der Anschuldigungen als wahr eine „Paralleljustiz“, die sich anmaßt, über das Tun einer öffentlichen Person zu urteilen und dies selbstgerecht zu sanktionieren.

Entsprechendes Vorgehen in den USA halte ich für äußerst bedenklich und lässt mich erschaudern.  Wir  sollten uns vorsehen, in eine Hysterie zu verfallen, die dazu führt, wichtige Errungenschaften unseres Rechtsstaats –  bei aller berechtigten Kritik daran –  infrage zu stellen.

Das rechtsstaatliche Prinzip der Unschuldsvermutung wird ausgehebelt, die angeprangerte Person  jedoch in einem Maß (vor)verurteilt, dass ihr der Beweis möglicher Unschuld genommen wird. Dies gipfelt in den USA darin, dass Filme vom Markt genommen, Passagen herausgeschnitten und neu gedreht werden. Der Wert zweifellos erbrachter  beruflicher und künstlerischer Leistungen wird danach  beurteilt, wer sie erbracht hat. Sie behalten nur ihren Wert, wenn sich deren Urheber „gesetzestreu“ verhalten hat. Und dieses Urteil trifft kein Gericht, sondern die öffentliche Meinung aufgrund ihrer Moralvorstellungen und einzelner Beschuldigungen. Aber es werden nicht nur die betreffenden Künstler mit einem Berufsverbot belegt, sondern ihre Werke stehen auch der Allgemeinheit nicht mehr zur Verfügung.

Ein Verbot von Kunst und künstlerischen Werken darf es in einem freien Staat nicht geben. Selbst ein verurteilter Straftäter kann hochwertige Kunst in allen denkbaren Formen von schriftstellerischer Tätigkeit, Bildhauerei, und sonstigen Kunstwerken bis hin zu Filmen schaffen. Zu verbieten, diese der Öffentlichkeit zugängig zu machen, ist Zensur.  Den Bürgern wird das Recht genommen, sich frei zu informieren.

Es steht jedem frei, sich von den Werken eines Künstlers zu distanzieren. Dies berechtigt jedoch niemanden, seine eigene Meinung für allgemeinverbindlich zu erklären. Wir sollten uns alle freuen, in einem Staat zu leben, in dem  nicht zuletzt aufgrund der Erfahrungen im Nationalsozialismus  die Freiheit der Kunst ein schützenswertes Rechtsgut ist. Dies muss für jeden Künstler gelten, unabhängig davon, ob  verurteilt oder nicht.

Haben die Forderungen eines  Simon Verhoeven Erfolg,  wird  Denunziation in unserer Gesellschaft Tür und Tor geöffnet. Unliebsame Konkurrenten können  auf einfache Art und Weise kaltgestellt werden. Denn wer hat  in dieser „Paralleljustiz“ noch Kontrolle darüber, ob an den Anschuldigen überhaupt „etwas dran“ ist?

 

Rechtfertigung für das bisherige Handeln?

Um verkrustete eingefahrene Machtstrukturen aufzubrechen, kann es sinnvoll sein, auf lange bestehende Missstände öffentlich hinzuweisen. Es stellt sich jedoch die Frage, wie allein das Aufgreifen und Anprangern alter Vorfälle hierzu beizutragen geeignet ist. Im aktuellen Fall  sind seit den eventuellen Straftaten 20 bis 30 Jahre vergangen.

Zur Änderung heutiger Missstände ist die bisherige Vorgehensweise daher ungeeignet. Gerade  aktuelle  Vorfälle von Machtmissbrauch und sexuellen Übergriffen, vor allem auch noch nicht verjährte, sind zu benennen und der Strafverfolgung auszusetzen.  Hierher gehören die  Namen aller Beteiligten, die ein solches System aktiv und durch Wegschauen unterstützen bzw. unterstützt haben.

Da  gegenwärtig im Wesentlichen „Altfälle“ aufgegriffen werden, stellt sich die Frage, ob es keine aktuellen Vorfälle mehr gibt.  Hat sich in den letzten Jahren möglicherweise doch bereits etwas gebessert?

Eine Berechtigung, einzelne  Personen – wie jetzt geschehen – an den Pranger zu stellen, kann nicht damit begründet werden, auf diese Weise  jetzt  Änderungen herbeiführen zu können.  Denn wenn  sich die Situation bereits gebessert haben sollte, wäre diese Vorgehensweise  nicht mehr erforderlich und völlig überflüssig.  Anderenfalls  sollten vor allem auch die zur Rechenschaft gezogen werden, die heute weiterhin für ein solches System stehen und ihren Vorteil aus der (vermeintlichen) Abhängigkeit  anderer, hier Frauen, ziehen. Es ist ein Trugschluss und nützt wenig, das „Alte“ anzuprangern und zu hoffen, dies reiche aus,  um auch im Jetzt etwas zu ändern und zu verbessern. Systemimmanenter Machtmissbrauch dürfte in Folge allenfalls subtiler gehandhabt werden.

Es steht jedem frei, von seinen Rechten Gebrauch zu machen. Andererseits ist niemand hierzu verpflichtet. Bevor man mit dem Finger ausschließlich auf eine Täterfigur zeigt, wäre jedoch auch zu realisieren, wie viel Schaden und Leid man auch von anderen, in diesem Fall Schauspielkolleginnen hätte abwenden können, wenn die heute erst behaupteten Taten zu einem aktuellen Zeitpunkt zur Anzeige gebracht worden wären.  Wenn auch nicht in böser Absicht, so hat man dennoch selber über viele Jahre in dem System von Machtmissbrauch mitgespielt und zu dessen Fortbestehen beigetragen.

Dies gilt auch für die Zeit der Dr. Wedel zur Last gelegten Taten. Die Menschen, die in oben genannter Form an diesem System beteiligt waren, haben sich letztlich ebenso schuldig und  zu Mittätern gemacht. Nur ein Geflecht solcher Mittäter und Machenschaften ermöglicht  ein übergriffiges Verhalten, wie es Dr. Wedel zur Last gelegt wird.

 

Durch Wahrnehmung eigener Rechte Verantwortung übernehmen!

Nicht nur in der Showbranche, sondern auch in  anderen Arbeitsverhältnissen und unserem Wirtschaftssystem insgesamt gibt es ebenfalls Hierarchien mit inhumanen Machtgefügen. Dabei kommt es  nicht selten zu Machtmissbrauch unterschiedlichster Art, von dem sowohl Frauen als auch Männer betroffen sein können. (#meetoo und der Fall  Spacey in den USA!). Sich  rechtswidrigem und /oder übergriffigem Verhalten  zu widersetzen oder es gar öffentlich anzuprangern, trägt in unserer Leistungsgesellschaft nicht dazu bei, Anerkennung und Beförderung zu erfahren, sondern  leider so gut wie immer Nachteile bis hin zum Existenzverlust  erleben zu müssen. In den allermeisten Fällen gelten diese mutigen Menschen als  „Sand im Getriebe“,  als „Nestbeschmutzer“.

Verstöße gegen Menschen- und Bürgerrechte, schlechte Systeme, Missbrauch aller Art anzuzeigen und damit öffentlich zu machen, ist in unserer Gesellschaft für alle  Menschen so gut wie immer mit Nachteilen verbunden. Man denke hier nur an die uns bekannten (und dabei uneigennützigen!) Whistleblower.

Sich zur Wehr zu setzen erfordert selbst bei Erwachsenen Mut und Rückgrat. Sich von Angst oder Zweckmäßigkeitserwägungen leiten zu lassen, ist dagegen der einfachere und bequemere Weg.

Es ist bekannt, dass  Straftaten, die die sexuelle Selbstbestimmung tangieren,  oft nicht oder erst sehr spät zur Anzeige gebracht werden.  Dabei handelt es sich meist jedoch um Straftaten in Form von Einzelfällen, die gerade nicht ein ganzes System betreffen. Sicher ist auch der Hinweis auf die Angst vor Nachteilen bis hin zum Verlust  der Erwerbsquelle, hier der Rolle oder der Nichtwiederbesetzung, verständlich. Als Freibrief dafür, jetzt wie gehabt vorzugehen,  ist dies alles nicht geeignet.

Erlebte, lange zurückliegende Missstände können immer noch und zu jeder Zeit aufgedeckt werden. Die  Verantwortung für den Zeitpunkt ist jedoch zu übernehmen. Diese pauschal auf andere oder die damaligen Umstände etc. zu schieben, kann  und darf auch nicht damit erklärt  werden, ein heutiges System ändern zu wollen.

Fazit

Der gegenwärtige Diskurs, so berechtigt er auch sein mag, wählt den falschen Weg.

Wir dürfen uns nicht darauf einlassen, einen Weg zu beschreiten, der uns in eine “Paralleljustiz“ führt, die Menschen ohne gerichtliches Urteil, allein basierend  auf dem Zeitgeist unterworfener Moralvorstellungen, verurteilt und  gleichzeitig die Rechte auf Freiheit von Kunst und Beruf sowie freie Information beschneidet.

So wie die Diskussion derzeit überwiegend geführt wird, trägt sie zu einem nicht wünschenswerten Schwarz-Weiß-Denken  in unserer Gesellschaft  bei: Gute Frauen – böse Männer. So einfach ist es aber nun einmal nicht immer. Differenzierung und die Möglichkeit, auch viele verschiedene Graustufen zu erkennen und zuzulassen und damit verbunden auch ein besseres, wirklich gleichberechtigtes  Miteinander von allen Menschen, Frauen und Männern,  geht auf diese Weise zum Schaden aller immer mehr verloren.

Dem heißt es gegenzusteuern, durch einen offenen Umgang miteinander  und den Mut, eigene Rechte wahrzunehmen!

Versuchen wir alle etwas mutiger zu sein?!